Dorfschule und Mesnersölde

Die Schule ist ein Glied des gesamten Kulturlebens eines Dorfes und neben der religiös-kirchlichen Entwicklung ein Gradmesser für sein stetes Aufwärtsstreben. In größeren Orten gab es schon immer schreibgewandte Leute so die Klosterbrüder, die Stadtschreiber, die weltlichen Lehrer an den Stadt- und Marktschulen und weitgereiste Kaufleute. Auf dem flachen Lande beherrschte außer dem Seelsorger fast niemand die Schrift. Es gab keine staatliche oder kirchliche Schulpflicht. Man wäre auch ausgelacht worden hätte man einem Bauern verständlich machen wollen, daß lesen Schreiben und Rechnen wichtige Dinge seien. Dessen ungeachtet förderte die Kirche schon sehr früh willige und begabte Kinder in der Schreibkunst. Die wenigen des Lehramt ausübenden Personen hatten sich ihr Wissen meist selbst angeeignet. Ihnen wurde in der Regel die Mesnerei übertragen, wobei Grund und Boden der Mesnersölde für sie das feste Einkommen bildete.
Nachstehend sind Marksteine der schulgeschichtlichen Entwicklung zusammengestellt (nach Lutz): Im Zeitabschnitt von 600 bis 1200 oblag die Pflege der schulischen Ausbildung den Kloster-, Dom- und Stiftsschulen. In größeren Städten entstanden nach und nach auch Pfarrschulen. Als Unterrichtssprache diente das Latein. Im späten Mittelalter von 1250 bis 1500 entwickelte sich die Mitwirkung der Gemeinden. Neben den kirchlichen Schulen gründeten größere Orte lateinische Stadt- und Ratsschulen. Die Forderung nach deutschen Schulen mit Lese-, Schreib- und Rechenausbildung für die gewerbliche und kaufmännische Stadtbevölkerung und die Schulmeisterzünfte ließen im Gefolge weitere behördlich genehmigte deutsche Schulen entstehen. Es entwickelten sich gemischte deutsche-lateinische Stadt- und Ratsschulen. Die Ausbildung der Mädchen verlagerte sich auf weibliche Orden, z.B. die Englischen Fräulein ab 1627.
Die Zeit nach 1648 läßt eine zunehmende Einwirkung des Staates auf das Schulwesen erkennen. 1740 erging in Bayern die erste Schulordnung. Die deutsche Sprache galt als Hauptfach und war daher bevorzugt zu lehren. Mit Verordnung vom 5. Januar 1771 wird in Bayern erstmals von der Schulpflicht gesprochen, allerdings unter Aufsicht der Kirche, nicht des Staates. Kurfürst Maximilian Joseph (1756 bis 1826), der nochmalige erste Bayernkönig Maximilian I. Joseph, sorgte endlich für klare Verhältnisse. Mit kurfürstlicher Verordnung vom 23. Dezember 1802 führte er die allgemeine Schulpflicht in ganz Bayern ein. Drei Wochen später erging an alle Pfarrer und Kapläne ein Aufruf sie sollen sich wohlwollend um die Belange des Schulwesens in ihren Pfarreien bemühen. Die Geistlichkeit entsprach freudig und gewissenhaft den reformerischen staatlichen Bemühungen um ein geordnetes Schulwesen. Dorfschulen wurden vermehrt gebaut. Die Volksschule neuer Prägung entstand. Sie umfaßte sechs Jahrgangsklassen. Alle privaten sogenannten "Winkelschulen" wurden verboten. Bei Widerstand gegen die Schulpflicht schaltete sich die Polizei ein. Weltliche, des Lebens und Schreibens kundige Personen wurden neben den geistlichen Lehrern zugelassen. Bei den Schulprüfungen setzte man Preise für die Besten aus.
Zusätzlich zur Volksschulpflicht kam eine weiterführende Schulpflicht, die sogenannte "Feiertagsschule". Danach waren durch eine kurfürstliche Verordnung vom 12. September 1803 alle Burschen und Mädchen vom 12. bis 18. Lebensjahr zum Besuch der Sonn- und Feiertagsschule verpflichtet. Ohne Abschlußzeugnis dieser Schulart war später weder eine Übernahme des elterlichen Anwesen; noch eine Heirat möglich. Die allgemeine Schulpflicht stieß beim Landvolke auf heftigsten Widerstand, weil die Kinder zu Hause im landwirtschaftlichen Betrieb dringen gebraucht wurden. Ein obrigkeitlicher Auftrag vom Jahre 1805 schärfte daher ein, "daß die Hausväter ihre Kinder und Dienstboten fleißig in die Werktags- und auch in die Sonntags- und Feiertagsschule zu schicken haben, andernfalls obrigkeitliche Zwangsmittel angewendet werden müssen". Von einem geregelten Schulbesuch kann auch 1835 noch nicht gesprochen werden. Die Ortspfarrer als Landschul-Inspektoren hatten zwar den Schulbesuch zu überwachen, waren aber oft überfordert.
Den Kindern fehlte es an Kleidung und Schuhwerk, und außerdem würden sie bei der Arbeit gebraucht. Blieben Kinder allzu oft dem Unterricht fern, so lud der Pfarrer als Schulinspektor zur "Schulsitzung" Dabei gab es oft wilde Streitigkeiten, weil, wie der Vater sagte, "die Kinder in der Schule das Faulenzen lernen". Der Pfarrer suchte zu schlichten. Die Eltern der Säumigen bekamen einen Verweis, in gröberen Fällen auch eine Geldstrafe von ein bis zwei Kreuzer. Die Schwierigkeiten mit dem Schulbesuch verringerten sich erst, als die Bevölkerung die Notwendigkeit einer Schulbildung allgemein einsah. Soweit war es aber erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Sonn- und Feiertagsschule beanspruchte zusammen mit dem vormittäglichen Gottesdienst den ganzen Ruhetag der Lehrer und Jugendlichen. Sie begann um 12 Uhr, wurde dann für die obligatorische Nachmittagsandacht um 14 Uhr unterbrochen und setzte sich anschließend eine weitere knappe Stunde mit dem Religionsunterricht, genannt die "Christenlehre", fort, die in der Pfarrkirche stattfand. Allerdings reduzierte man die Sonntagsschule im Lauf der Jahrzehnte von sechs auf drei Jahre.

 

    Feiertagsschule ade - Schulentlaßschein 1848 Ausgestellt vom Königl. Lokalschulinspektor,
    benotet wurden: Geistesgaben, Fleiß, Religion, Lesen, Schönschreiben, Rechtschreiben, Rechnen, Gemeinnützige Kenntnisse, Sittliches Betragen, Schulbesuch

Mit Einführung des siebenten Schuljahres im Jahre 1856 bedeutete das die Schulpflicht in der Sonntagsschule für alle Dreizehn- bis Sechzehnjährigen.
Ein markantes Zeichen des pädagogischen Tiefstandes, des behördlichen Unvermögens und der allgemeinen Schulunfreundlichkeit zeigen die beängstigend hohen Klassenstärken noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Neben seinem Schulamt besorgte der Lehrer das Läuten der Glocke, den Mesnerdienst, das Orgelspielen und versah die Gemeindeschreiberei. Daß er dort der führende Mann in Vereinen war und ihm auch die Regie bei den alljährlich wiederkehrenden Theateraufführungen oblag, versteht sich am Rande. Im Nebenberuf bewirtschaftete er als Landwirt die Schul- und Mesnersölde. Hierbei ging ihm eine weibliche Hilfskraft, die "Schullehrerdirn", kräftig zur Hand. Mit zwei Zugkühen werkte sie auf dem kleinen Gütl von früh bis spät. Im Winter hatte die Dirn morgens Holz und Kohlen zu schleppen, um die Klassenzimmer anzuheizen. Die Organistenstelle bedingte auch, daß der Lehrer bei Hochzeiten oder Beerdigungen seine Klasse einem oder zwei Schülern zur Beaufsichtigung übergeben mußte.
Die Eltern kümmerten sich in ihrer Arbeit und Sorge nicht
sonderlich um die Erziehung ihrer Kinder. Sie überließen diese Aufgabe weitgehend dem Lehrer. Mit der Prügelstrafe gab es keine Probleme. Die Eltern ermunterten im Gegenteil den Lehrer, mit dem Pepperl oder dem Willi ja recht streng zu sein und ihm Tatzen zu verpassen, oder in schlimmen Fällen das Hinterteil zu versohlen. Bei besonders schweren Vergehen berichtete der Herr Lehrer auch noch dem Vater von den Missetaten des Sprößlings. Das bedeutete zu Hause zusätzlich eine empfindliche Strafe in Form von "drei Stunden Einsperren im Keller", oder "eine Stunde auf dem Scheitl knien". lm Vergleich zu einst hat sich ein umwälzender Wandel vollzogen. Auch in Anzug und Kleidung gelten andere Maßstäbe. Früher bekamen die Mädchen zum Schulanfang ein neues Kleidchen, wobei die Schürze nicht fehlen durfte, oder der Michl eine neue Hose, wenn er nicht die vom größeren Bruder Alois bekam, dem sie nicht mehr paßte. Als Schuhwerk trugen sie alle landesüblichen Hausmannsware, nämlich die vom Vater selbst gefertigten Holzschuhe, die an allen Kanten und Ecken drückten. Im Sommer lief alles barfuß. Den Schulranzen, der von Hand zu Hand ging, bis die ganze Schülergeneration einer Familie von sechs oder acht Kindern die Schule durchlaufen hatte, fertigte der Sattler. Drei Schulbücher reichten früher aus, das Lesebuch, das Rechenbuch und der Katechismus. Selbstredend waren diese Kostbarkeiten auf die nachfolgenden Geschwister zu übertragen. Die Schiefertafel und die Griffelschachtel ersetzten das Schreibheft. An ersterer baumelte ein feuchter Schwamm und ein Lappen zum Abwischen, wenn sie voll beschrieben war. Die Schiefertafel erfreute sich selten ein ganzes Schuljahr lang ihres Daseinszweckes. Wurde der Bub in einer Rauferei verwickelt, so blieb sie stets auf der Strecke. In tausend Scherben zertrümmert lag sie in der Schultasche, und der Missetäter harrte zu Hause ängstlich auf das unvermeidliche elterliche Strafgericht.
Schwer hatten es die Kinder aus den weitab liegenden Ortschaften. Bei jedem Wetter mußten sie den mehr als eine Stunde langen Weg zur Schule zu Fuß antreten und die einbrechende Dämmerung im Winter war der tägliche Begleiter. Daß die Kinder vor Unterrichtsbeginn die Schulmesse besuchten, waren Geistlichkeit und Eltern gleichermaßen besorgt. Ein "Scherzl" trockenes Brot zur Pause war die ganze Wegzehr. Im Winter dauerte der Unterricht von 8 bis 11 Uhr und von 12 bis 14 Uhr. Die Dorfkinder hatten es dabei besser, denn sie konnten zum Mittagessen nach Hause kommen. In den Sommermonaten unterrichtete der Lehrer nur vormittags von 7 bis 11 Uhr. Nachmittags spannte man die Kinder zur Arbeit ein. Es gab da vieles zu tun, z.B. die Kleinen beaufsichtigen, Kühe und Gänse hüten, Botengänge erledigen, einkaufen, auskehren, Holz hereinbringen, Eier abnehmen, Wasser pumpen, Brennessel suchen, Feldsalat und Waldbeeren sammeln, Ähren lesen, Kartoffel klauben, Sauerkraut eintreten und so fort. Weil das Lehrergehalt die Gemeinde zahlen mußte, war dieser oft das Ziel giftiger Angriffe. Mancher Lehrer blieb da zeitlebens ein Wanderer auf der Suche nach einer fetteren und weniger strapaziösen Pfründe. Erst das Volksschullehrergesetz von 1918 machte die Lehrer zu Staatsbeamten. Die geistliche Schulaufsicht wurde beseitigt, die Verbindung des weltlichen Kirchendienstes mit dem Schuldienst aufgelöst. Damit konnte der Lehrer endlich seine ganze Kraft und Fähigkeit ungeteilt für Unterricht und Erziehung einsetzen.